«Menzel: Genau. So funktioniert unser Denken. Wir malen uns verschiedene Möglichkeiten aus, und die verhandeln wir dann in unserer inneren Welt. Und so scheint auch die Biene zu denken. Offenbar kann sie sich etwas vergegenwärtigen, was gar nicht da ist. Und dabei hat sie nicht nur eine Vorstellung von der Welt, sondern auch von sich selbst. Wenn sie sich für oder gegen etwas entscheidet, sagt sie Ergebnisse ihres eigenen Handelns voraus. Dazu braucht sie zum Beispiel ein Erleben und eine Simulation des eigenen Körpers. Die Biene weiß, wer sie ist.
Klein: Hat die Biene eine Seele?»
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«Klein: Können Sie sich eigentlich vorstellen, wie es sein mag, eine Biene zu sein?
Menzel: Ich erfahre das vor allem in meinen Träumen. Darin kann ich fliegen wie ein Insekt. Ich spüre: Das ist kein Vogelflug, sondern es rüttelt. Ich schwebe zwischen Zweigen hindurch, die Blüten sind riesig. Und ich nehme die Farben so wahr wie eine Biene: Es gibt kein Rot, dafür wunderbare Schattierungen von Blau. Die reifen Früchte leuchten bunt zwischen den grauen Blättern. Ich meine sogar, dass ich Ultraviolett sehen kann: Die Blüten tragen Muster in dieser Farbe! Gelegentlich begegne ich auch seltsamen Bienen, die Vierbeiner geworden sind. Ihre vorderen Beine haben sich zu Scheren und Messern weiterentwickelt. Damit zerkleinern sie Früchte und stopfen das Mus in ihre Flügelsäcke.
Klein: Vielleicht würde eine Biene so träumen. Aber Insekten träumen nicht.
Menzel: Meinen Sie? Ich bin mir da neuerdings nicht mehr so sicher. Sie schlafen. Und wie wir Menschen und andere Säugetiere, so verbessern sie ihr Gedächtnis im Schlaf. Wir machen gerade Versuche dazu. Interessanterweise brauchen Bienen umso mehr Schlaf, je kompliziertere Dinge sie sich einprägen sollen. Wir haben gesehen, dass Bienen auch verschiedene Schlafphasen haben. Wenn wir Menschen besonders intensiv träumen, bewegen wir unter den geschlossenen Lidern die Augen schnell hin und her. Bei den Bienen beobachten wir etwas Ähnliches: Plötzlich fangen sie im Schlaf an, wild mit ihren Antennen zu schlagen. Wollen Sie es sehen?»
STEFAN KLEIN
geboren 1965, ist Biophysiker und Autor. Zuletzt erschien von ihm Träume: Eine Reise in unsere innere Wirklichkeit (S. Fischer). Für das ZEITmagazin führt er regelmäßig Gespräche mit Wissenschaftlern.
RANDOLF MENZEL
geboren 1940, leitete von 1976 bis 2008 das Neurobiologische Institut der Freien Universität Berlin. Er gilt als Autorität auf dem Gebiet der tierischen Intelligenz und zugleich als einer der bedeutendsten Hirnforscher in Deutschland.
http://www.zeit.de/zeit-magazin/2015/02/bienen-forschung-randolf-menzel